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ver.di-Mitglied Cengiz HaksözIngo Rappers

"Die im Dunkeln sieht man nicht" – Cengiz Haksöz zitiert Brecht, als er am 14. Juni im Digitalausschuss des Bundestages in einer Anhörung über die Arbeitsbedingungen von Content Moderatoren beginnt zu sprechen. Und fährt dann in Englisch fort, ringt um manches Wort. Nicht, weil er mit der Sprache hadert, sein Englisch ist fließend. Es fällt ihm schwer über seine verstörende Arbeit zu reden.

"Am Ende eines Arbeitstages bin ich geistig und emotional völlig ausgelaugt"
Cengiz Haksöz

Cengiz ist Doktorand der Anthropologie. Mit der Moderation von Inhalten in den Sozialen Medien habe er begonnen, um sich und seine Familie zu unterstützen, während er seine Doktorarbeit schreibt. Nur: Er kommt nicht mehr dazu, seine Dissertation zu beenden. Sein Job sauge seine ganze Energie auf. "Am Ende eines Arbeitstages bin ich geistig und emotional völlig ausgelaugt", sagt Cengiz.

Mindestens 5.000 Content Moderatoren in Deutschland säubern derzeit für kaum mehr als den Mindestlohn die Sozialen Medien von brutalen Bildern und Videos von Kindermissbrauch, Pornografie, Selbstverletzungen, Leichen, Terror, Enthauptungen, damit wir diese Bilder nicht zu sehen bekommen und uns sicher durchs Netz bewegen können. Viele wie Cengiz gehören zu den englischsprechenden Arbeitskräften, überwiegend gut ausgebildet, aber dennoch auf dem Arbeitsmarkt sehr eingeschränkt, den Job zu wechseln gelingt kaum. Und: Bei vielen hängt die Aufenthaltserlaubnis, die für alles grundlegend ist, vom Job ab.

Weltweit gibt es inzwischen hunderttausende Content Moderatoren, die für Meta (Facebook, Instagram), TikTok und Co. diese Arbeit machen. "Ohne uns wären die Sozialen Medien voll mit abscheulichen Inhalten", sagt Cengiz. Es sind Inhalte, die sie krank machen. Cengiz sagt, was die Arbeit mit ihnen macht: "Wir werden gebrochen. Viele leiden an psychischen Krankheiten wie Depressionen, Schlaflosigkeit und posttraumatischen Belastungsstörungen, und diejenigen, die damit nicht mehr zurechtkommen, begehen Selbstmord. So wie meine Kollegin es getan hat."

Anhaltendes Leid

Vor rund zehn Jahren gingen die ersten Nachrichten von Content Moderatoren auf den Philippinen um die Welt, die sich wegen der psychischen Belastung durch die Arbeit das Leben nahmen. Dort löschen bis heute Menschen bis zu 12 Stunden am Tag für Meta und andere Plattformbetreiber bedrohliche Inhalte. Doch meist lagern Meta und Co. diese Arbeit an Subunternehmen aus, die sich nicht um die Gesundheit der Beschäftigten kümmern und schlecht bezahlen. In Afrika verdienen Inhaltsmoderatoren 1,50 bis 2,20 US-Dollar in der Stunde.

Zugeschaltet von dort zur Anhörung im Bundestag war Daniel Motaung, ein ehemaliger Moderator, der 2019 bei einem Subunternehmen in Kenia für Meta Content prüfte. Er sei entlassen worden, nachdem er versucht habe, eine Gewerkschaft zu gründen, um bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Motaung berichtet, es habe sich um seinen ersten Job nach dem Studium gehandelt, und er habe vorher nicht gewusst, was genau er tun müsse. Gleich in seinem ersten Video wurde er Zeuge einer Enthauptung. Die Arbeit habe ihn krank gemacht, bis heute leide er.

Manifest für sicherere Arbeit

Auch Cengiz leidet unter seiner Arbeit. Seit November 2018 arbeitet er in Essen für Telus International, ebenfalls ein Subunternehmen von Meta und neben Majorel einer der größten Arbeitgeber in der Branche hierzulande. Bis heute seien sein "Kopf, Körper und Herz" 4.000 Stunden Material, das Gewalt zeige, ausgesetzt gewesen. "Das schrecklichste, gewalttätigste Material, das Sie sich vorstellen können", sagt Cengiz vor dem Ausschuss. Wie Motaung habe er sich entschieden, zusammen mit 300 weiteren Content Moderatoren in Deutschland, sich von Facebook nicht mehr einschüchtern zu lassen. Das Klima der Angst, geschaffen durch stark einschränkende Geheimhaltungsvereinbarungen und prekäre Verträge, wollen sie nicht länger hinnehmen. Sie haben ein Manifest verfasst, in dem sie sicherere Arbeit fordern, unter anderem psychologische Betreuung. Untereinander würden sie sich am Ende des Tages nicht mehr "Auf Wiedersehen" sagen, sondern nur noch "Gute Besserung" wünschen.

Darüber hinaus fordern die Content Moderatoren, über ihre Arbeitsbedingungen sprechen zu dürfen, sie wollen sich organisieren können und Betriebsräte bilden, um ihre Bedingungen zu verbessern. Im letzten Jahr konnte ver.di mit den Beschäftigten bei TikTok Deutschland einen Betriebsrat installieren. Hikmat El-Hammouri, der für ver.di den Prozess der Betriebsratsgründung begleitet hat, bestätigt, dass die Bedingungen für die TikTok-Beschäftigten inzwischen deutlich bessere seien als die derjenigen Moderatoren, die für Subunternehmen tätig sind.

Julia Kloiber von der Berliner Organisation Superrr Lab, die sich für bessere Bedingungen für die Moderatoren in Deutschland einsetzt, betonte im Digitalausschuss die wichtige Rolle der Gewerkschaften. Vor allem aber sei die Arbeit der Content Moderatoren enorm wichtig, sie seien "die Putzkräfte unserer Demokratie". Auch deshalb müssten ihre Arbeitsbedingungen geregelt werden und auch die Politik müsste daran ein Interesse haben und etwa wie bei der Polizei Gesundheitsschutz verpflichtend machen für die Branche.

Cengiz hat mit seiner Rede im Bundestag seine Berufsgruppe sichtbar gemacht. Seinem Arbeitgeber gefällt das nicht. Sie haben ihn wenige Tage danach freigestellt. Wohl auch, weil er die erste Betriebsratswahl bei Telus vorbereitet. Die wird trotzdem stattfinden – mit ihm.

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