Vor drei Jahren begann Jan Leifheit damit, überschüssige Lebensmittel vor der Abfalltonne zu bewahren. Über die Online-Plattform Foodsharing organisiert er mit Gleichgesinnten seitdem die Verwertung von Obst, Gemüse und anderem Essen, das von Supermärkten und Einzelhändlern andernfalls weggeschmissen würde.
Als Leifheit im Jahr 2016 anfing, waren bei Foodsharing in Bremen ungefähr 400 Personen angemeldet. Seitdem hat sich deren Zahl verdreifacht: 1200 Mitglieder seien mittlerweile als sogenannte Foodsaver in Bremen aktiv, erzählt der 28-jährige Student. Inzwischen ist er Botschafter von Foodsharing in Bremen und als solcher für Öffentlichkeitsarbeit und das Anwerben neuer Mitglieder verantwortlich. Letzteres ist derzeit kein Problem: Man komme kaum hinterher, die neuen Leute einzuarbeiten, erzählt Leifheit. Auch aufseiten der Betriebe befinde die Initiative sich in einer luxuriösen Situation und müsste zum Teil sogar interessierten Händlern absagen, da die Abholung nicht gewährleistet werden könne.
Die Initiative Foodsharing lässt sich in den wachsenden Bereich der Sharing Economy einordnen, allerdings mit Einschränkungen. Denn bei Foodsharing wird zwar geteilt, doch das ganze verfolgt keinen ökonomischen Zweck, wie es bei vielen anderen Sharing-Economy-Modellen üblich ist. Alle aktiven Mitglieder der Plattform sind ehrenamtlich tätig.
Ablaufdatum oft nur wenig aussagekräftig
Über Foodsharing werden primär Obst und Gemüse verteilt sowie Lebensmittel, die nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums nicht mehr verkauft werden dürfen. Dass dieses Datum in vielen Fällen eine wenig aussagekräftige Festlegung ist, wurde schon in etlichen Studien unter Beweis gestellt. So zeigte eine Untersuchung durch Greenpeace im Jahr 2017, dass viele Lebensmittel noch Wochen später genießbar waren. Als Privatpersonen sind die Foodsaver nicht an das Mindesthaltbarkeitsdatum gebunden und können daher selbst entscheiden, welche Lebensmittel noch gut sind. „Wir haben unsere Sinne, vor allem Schmecken, Sehen und Riechen. Und damit kann man eigentlich bei allen Produkten sehen, ob die noch gut sind“, sagt Leifheit.
Im Gegensatz zum sogenannten Containern existieren beim Foodsharing Abmachungen zwischen Supermärkten, Discountern oder Einzelhändlern auf der einen und Foodsavern auf der anderen Seite, die eine geregelte Abholung der Lebensmittel gewährleisten. Diese wird zumeist telefonisch organisiert. Die Foodsaver wissen somit genau, wo, wann und wie viel sie an Lebensmitteln abholen können. Davon profitieren auch die Betriebe, die die Lebensmittel zur Verfügung stellen. „Unsere Maxime ist es, den Läden so viel Arbeit wie möglich abzunehmen. Wir müssen ja irgendwie attraktiv sein. Wir garantieren den Betrieben, dass immer genug Leute kommen, um das abzuholen und auch nur dann, wenn es abgesprochen ist“, erklärt Leifheit.
Ein solcher Betrieb ist das Käsekontor Findorff, dessen Inhaberin Katrin Grosch von den Vorteilen der Plattform überzeugt ist. „Das ist völlig unkompliziert“, sagt sie. Jede Woche kämen Foodsaver vorbei und brächten bei größeren Mengen auch eigene Gefäße mit, um die Lebensmittel zu transportieren. „Ich finde das total toll. Es ist einfach schön zu wissen, dass das Essen am Ende nicht im Müll landet“, sagt Grosch. Denn auch, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten sei, könne man viele Produkte bedenkenlos noch essen: „Dann weiß der Mozzarella ja nicht, dass er abgelaufen ist“, sagt Grosch und lacht.
Primär gegen die Verschwendung von Lebensmitteln
Im Gegensatz zur Tafel und anderen gemeinnützigen Organisationen verfolgt Foodsharing nicht unmittelbar das Ziel, Bedürftigen zu helfen, sondern setzt sich primär gegen die Verschwendung von Lebensmitteln ein. Daher befinde man sich auch nicht in einem Wettbewerb um das Essen, erläutert Leifheit: „Wir sind keine Konkurrenz zur Tafel und wollen das auch nicht sein. Wenn es irgendwo einen Betrieb gibt, mit dem die Tafel kooperieren möchte, halten wir uns da komplett raus.“
Die Lebensmittel, die von den Foodsavern in Empfang genommen werden, nehmen ganz unterschiedliche Wege. Vieles werde über private Netzwerke an Freunde, Bekannte und Nachbarn weitergegeben, erzählt Leifheit. Zudem gibt es sogenannte Fairteiler, das sind ausgewiesene Orte, zu denen das Essen gebracht werden kann und wo es sich andere Personen abholen können. In Bremen gibt es zwei Fairteiler: in der Hochschule Bremen sowie im Gemeindezentrum Zion in der Neustadt. „Wir hatten letzte Woche eine Lieferung von 20 Kilo Käse, das war innerhalb von einer Stunde abgegrast“, erzählt Wolfgang Teuber von der Vereinigten Evangelischen Gemeinde Bremen-Neustadt. Unter den Menschen, die das Essen abholten, seien Studierende, ältere Menschen, zum Teil auch Wohnungslose oder Drogenabhängige. „Wenn was Leckeres drin ist, dann hol ich mir auch selbst mal was raus, da bin ich dann hemmungslos“, lacht Teuber.
Trotz Initiativen wie Foodsharing werden noch immer immense Mengen an Lebensmitteln vergeudet. Eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung zeigte, dass im Jahr 2017 in Deutschland 55 Kilo Lebensmittel pro Kopf weggeworfen wurden. Die Gründe hierfür sieht Leifheit nicht allein bei den Händlern. Auch die Kunden würden durch ihr Verhalten zu der anhalten Verschwendung beitragen: „Es sind natürlich auch die Konsumenten, die nur die gerade Gurke kaufen und nicht die krumme. Und natürlich kann der Supermarkt in seiner Logik damit dann nichts mehr anfangen. Oder dass die Regale immer voll sein müssen bis zum Ende, weil die Leute auch um 20 Uhr noch die Erwartung haben, alles kaufen zu können. Das führt dazu, dass superviel weggeschmissen wird.“
Die wachsende Zahl der Mitglieder bei Foodsharing und der gesellschaftliche Trend zu bewussterem und nachhaltigem Konsum könnten erste Zeichen sein, dass die Verschwendung qualitativer Lebensmittel zunehmend als Problem wahrgenommen wird. Dennoch wird wohl noch eine Weile vergehen, bis Aktivisten wie Jan Leifheit das Thema ruhen lassen können. „Wir arbeiten daran, uns abzuschaffen“, sagt der 28-Jährige. „Wenn nichts mehr weggeschmissen wird, haben wir unser Ziel erreicht.“